Wie sieht ein Forschungsabend aus?

Eine weitere häufig gestellte Frage ist: wie kann ich mir so einen Forschungsabend vorstellen?

Der typische Ablauf an einem Abend sieht ungefähr so aus:

  • wir treffen uns
  • ich/wir erklären kurz das Prozedere der Aufstellung
  • jemand schmeisst ein echtes oder fiktives Thema in die Runde
  • wir probieren aus wie man das Thema aufstellen könnte
  • danach wir diskutiert ob das so funktioniert, was man verändern könnte etc
  • dann kommt das nächste Thema dran.

Wie läuft eine „Aufstellung“ ab?

Fiktives Beispiel: ich überlege ob wir die Webseiten im Institut auf einen eigenständigen Server hosten sollen oder ob wir es bei einer VPS-Variante belassen. Ich bin sozusagen der Client, und mein Partner Leo Maier würde mich durch die Aufstellung begleiten. Meine Frage ist: ich will wissen welche Server-Variante welche Vorzüge hat.

Um aufzustellen brauchen wir etwas freien Platz. Es sind genügend Personen an dem Abend da, also nehme ich mir für jeden Aspekt der mir so in den Sinn kommt eine der anwesenden Personen und stelle damit eine Art lebendes Strukturmodell. In der Mitte der Server, hinten links die Website, vorne rechts den Aspekt Performance, vorne links den Aspekt Kosten (reine Fiktion!). Sprich: es stehen 4 Personen im Raum, plus mir und Leo. Beispielhaft als Diagramm die Servervariante:

Beispiel Aufstellung

Dann wird mit der Struktur gearbeitet: statt des Servers wird jemand anders als VPS-Lösung aufgestellt, die Aufstellung verändert sich dadurch:

 VPS-Variante

In beiden Fällen bespricht Leo mit mir anhand der aufgestellten Skulptur welche Vor- und Nachteile die jeweilige Lösung hat. Und die Stellvertreter welche für die Aspekte im Raum stehen werden ebenfalls nach Meinungen befragt. Interessanterweise – und das ist das Spannende beim Aufstellen – können einem die Stellvertreter erstaunliche Perspektiven und Sichtweisen anbieten.

Ich hab dann noch die Möglichkeit in diese lebende Struktur einzusteigen und z.B. die Perspektive des Servers zu übernehmen.

Nach einigem Befragen und Nachhaken wird dann die Skulptur aufgelöst, d.h. die Stellvertreter gehen aus der Aufstellung raus, man bespricht noch die Erkenntnisse und die Arbeit ist beendet.

Ich habe selbst schon an über 100 Aufstellungen (allerdings nicht auf IT-Themen bezogen) mitgemacht und selbst schon x-dutzend Aufstellungen angeleitet. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen das man nachher meistens deutlich klüger ist als vorher, und das man dann Aspekte des Themas sieht die man vorher nicht wahrgenommen hat.

Das von mir benutzte Beispiel ist jetzt ein echtes IT-Thema. Ich kann jetzt nicht mit 100% Sicherheit sagen ob das so wie ich es beschrieben habe wirklich Sinn machen würde. Vielleicht würde man auch eine andere Form wählen – das gilt es eben humorvoll-gelassen auszuprobieren.

Skeptiker können natürlich zu Recht einwenden das man eine derartige Frage auch anhand eines Fragebogens und/oder einer Evaluation klären kann. Das ist inhaltlich natürlich richtig. Inhaltlich (welche Variante ist besser) kommt man sowohl bei der klassischen Evaluation als auch bei der Aufstellung zum gleichen Ergebnis.

Man vernachlässigt aber den Aspekt das man in kürzerer Zeit über einen derartigen Aufstellungsprozess eine viel größere Gruppe an Personen an der Entscheidungsfindung teilnehmen lassen kann – und das eine mehr Personen das Gefühl hat zur Entscheidung wirklich etwas beigetragen zu haben. Abgesehen davon dauert eine Aufstellung vielleicht 45m – 60m. Bei 10 Personen die in diese Entscheidung einbezogen werden sollen wären das 10 Arbeitsstunden.

Schafft man mit insgesamt 10 Arbeitsstunden eine saubere, inhaltlich korrekte Evaluation einer derartigen Entscheidung, inkl. der Wissensvermittlung wie die Entscheidung zustande gekommen ist und mit dem vermittelten Gefühl bei der Entscheidung beteiligt worden zu sein?

Die Antwort überlasse ich meinen meeting- und evaluationserprobten Lesern… 😉

Andrew Smart

7 Responses to Wie sieht ein Forschungsabend aus?

  1. Hallo Andrew,

    das ist mutig! Mitten rein in die Fettnäpfchen! Ich höre schon das heftige Kopfschütteln der ITler. Dennoch, jeder, der mit Aufstellungen arbeitet, weiß, dass was bei rüberkommt.

    Noch eine klitzekleine Anregung: Da es bei Aufstellungen ja auch auf die Blickrichtung ankommt, fände ich es toll, wenn ihr eine Methode fändet, das optisch wiederzugeben.

    Toi, toi, toi, Ewald

  2. […] – das Blog zur systemischen IT geht in die Vollen: Aufstellungen zu harten IT-Themen! Ich erwarte spannende […]

  3. systemischeit sagt:

    Hallo Ewald,

    sicherlich wird sich der eine oder andere IT’ler an den Kopf fassen. Aber ich weiss z.B. aus XING das inzwischen eine ganze Reihe von Mitarbeitern und Führungskräften in der IT Erfahrungen mit Organisationsaufstellungen haben.

    Der Hardcore-Datenbänkler wird sich davon wohl nicht beeindrucken lassen – wir sind gespannt! 🙂

    Das mit der Blickrichtung muss ich noch toolmässig in den Griff bekommen – da ist mir noch nichts passendes über den Weg gelaufen… da muss ich mir mal n 3d-Tool selberbauen… 😉 😉 (Typischer IT’ler-Reaktion: Problem? -> Tool bauen!)

    Viele Grüße,
    Andrew

  4. Hallo,

    mir fällt dazu ein Podcast von Frank Westphal ein, da wurde auch übe Aufstellungsarbeit und IT gesprochen: http://www.frankwestphal.de/Tonabnehmer4-BerndOestereich-SozialesinSoftwareprojekten.html

    vielleicht lässt sich ja da etwas vernetzen?

    viel Erfolg mit Eurem experimentellen Institut
    Thomas

  5. systemischeit sagt:

    Hallo Thomas,

    vielen Dank für den Kommentar und den Link. Ich werde das aufgreifen und versuchen dort in Kontakt zu kommen.

    Viele Grüße,
    Andrew

  6. Der andere Ansatz ist natürlich, Objektdiagramme in der Objektorientierten Softwareerstellung mit Hilfe von Personen im Raum aufzustellen, genannt Objektspiel. Gerade in der Vermittlung von Objektorientiertem Denken in der Informatikausbildung an Schulen wird dies experimentell versucht:

    Klicke, um auf ook8_print.pdf zuzugreifen

    Vielleicht nicht der Ansatz von Systemaufstellung aber Aufstellung ist es auch.

    Da ich in der python-Mailingliste auf Euren Ansatz aufmerksam gemacht wurde, und wir uns in der pyCologne (http://wiki.python.de/User_Group_K%C3%B6ln ) gerade intensiv mit Pattern in Python beschäftigen, stellt sich mir die Frage, ob es nicht vielleicht sehr erhellend für uns wäre, mal die Möglichkeiten von Aufstellungsarbeit für Objektmodellierung zu ergründen.

    lg Thomas

  7. andrewsmart sagt:

    Hallo Thomas,

    das Objektspiel wäre eine Variante der Strukturaufstellungen die wir angedacht haben. Der Begriff „Spiel“ ist aber in Deutschland eher unbeliebt, von daher wäre lebendes Objektmodell der passende Begriff.

    Tatsächlich habe ich das in der IT-Praxis auch schon verwendet – ohne Titel, aber quasi im Rahmen von Konzeptdiskussionen, on-the-fly oder „ex tempore“ – aus dem Stegreif.

    Wobei ich dabei dann heimlich in mich hineingeschmunzelt habe – die Kollegen haben direkt mitgemacht. Hätte ich vorher erklärt was ich vorhabe hätte ich vermutlich eine Stunde Diskussion über Sinn und Zweck gehabt 🙂

    Ich bin ja auch in der Mailingliste und wollte mich sowieso mit den PyColognianern vernetzen, was ich aus zeitlichen Gründen noch nicht geschafft habe. Wir können das gerne mal experimentell bei einem PyCologne Treffen ausprobieren.

    Viele Grüße,
    Andrew

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